Geschichte

Es gibt wenige Vereine, die auf ein über 150-jähriges Bestehen zurückblicken können. Der heutige WITAF führt den Untertitel “Seit 1865 im Dienst der Gehörlosen”. Die nachfolgenden Ausführungen zeigen auf, dass dieser Satz durchaus berechtigt ist.

WITAF – Seit 1865 im Dienste der Gehörlosen:

ein kurzer Überblick

Der Verein WITAF wurde im Jahr 1865 gegründet.  Der ursprüngliche Name lautete „Wiener Taubstummenfürsorgeverband“. Es war der erste Verein für Taubstumme und wurde von Alexander Venus, Direktor des K&K Taubstummeninstituts, und Adalbert Lampe gegründet. Erst 2018 wurde der Vereinsname offiziell in WITAF-Seit 1865 im Dienste der Gehörlosen geändert. Das Akronym WITAF wurde aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades und historischen Gründen beibehalten, der mittlerweile diskriminierende Begriff „taubstumm“ aus dem Vereinstitel entfernt. 

Selbstvertreter:innen verwenden heute den Begriff “gehörlos” oder “taub”, um einen stärkeren Fokus auf die Sprachgemeinschaft zu lenken. Um nicht ein Defizit, sondern eine Sprache und Kultur in den Vordergrund zu stellen, tendieren mittlerweile viele Gebärdensprachnutzer:innen zur Verwendung der Begriffe „taub“ und „taub sein“. Besonders im wissenschaftlichen Kontext wird angelehnt an den angloamerikanischen Raum von “Taubheit” und “taub sein” gesprochen, um kulturelle Aspekte, die mit jeder Sprache verbunden sind, mehr Gewicht zu geben.

Die Gründung des Taubstummen-Vereins in Wien hängt eng mit dem k.k. Taubstummeninstitut in Wien zusammen und wurde vom seit 1852 amtierenden Direktor, Alexander Venus, durchgeführt. Venus hatte in den 1850er-Jahren zahlreiche Änderungen und Reformen am Institut vorgenommen und bemerkte einen regen Zustrom in Gehörlosenschulen. Schätzungen zufolge lebten in dieser Zeit in der Monarchie mit einer Einwohnerzahl von 8 Millionen Einwohnern 30 000 gehörlose Untertanen, wovon etwa 8000 im Alter zwischen 7 und 14 Jahren waren und im Institut aufgenommen hätten werden müssen. Die Schule verzeichnete Erfolge. Viele gehörlose Personen hatten eine handwerkliche Arbeit. Einige arbeiteten auch in der öffentlichen Verwaltung. Jedoch waren die Erfolgsaussichten auf ein selbständiges Leben für verwaiste Gehörlose nicht gut. Nachdem Venus bei einem Faschingsfest im Jahr 1865 über die verschiedenen Probleme von ehemaligen Schüler und Schülerinnen erfahren hatte, wurde bald darauf eine Sitzung für eine Vereinsgründung mit elf interessierten gehörlosen Männern inklusive Alexander Venus sowie Jacques Loew, seines Zeichens Superintendent einer Leder- und Holzgalanteriefabrik, einberufen. 

Die Statuten lauteten: „a) Sittliche Belebung und geistige Fortbildung seiner Mitglieder – b) Unterstützung des Einzelnen durch Rath und That, und sobald es die zu Gebote stehenden Mittel gestatten, Versorgung der erwerbsunfähig gewordenen Mitglieder“. 

Eine allgemeine Krankenversicherung oder Sozialversicherung gab es zu dieser Zeit nicht. Die Idee war es also einerseits Kultivierung zu betreiben, andererseits einer Fürsorge nachzugehen. Der Verein wurde am 11. August 1865 von der niederösterreichischen Statthalterei für Bildung genehmigt und Adalbert Lampe wurde der erste Präsident. 

Der Verein wurde im Jahr 1875 in Wiener Taubstummen-Unterstützungsverein umbenannt. Mit der Namensänderung ging auch die Idee einher, nicht nur in Wien ansässige gehörlose Personen zu unterstützen, sondern diese Unterstützung auch Gehörlosen, die erst kürzlich in die immer größer werdende Stadt Wien gezogen waren, zukommen zu lassen. In dieser Zeit übergab der Wiener Taubstummen-Unterstützungsverein beim ersten Taubstummen-Tag eine Petition an die niederösterreichische Landesregierung, dessen Entschluss, eine Schule für taubstumme Kinder zu errichten. Der Beschluss wurde im Jahr 1880 publik gemacht. Daraufhin wurde eine Schule für taubstumme Kinder in Ober-Döbling, wo zuvor eine Blindenschule untergebracht war, gegründet. 

Seit 1874 gab es einen eigenen Verein für gehörlose Frauen in Wien, da die Statuten des WITAFs damals keine Mitgliedschaft für Frauen vorsahen. Der Frauenverein war aber eng verbunden mit dem Unterstützungsverein. Grundsätzlich war es bis 1918 generell schwierig für Frauen Mitglied in einem Verein zu sein, sobald dieser politisch war. Jedoch gab es schon 1907 Bestrebungen des WITAFs mit dem Frauenverein zu fusionieren. Dies scheiterte allerdings an den behördlichen Auflagen auf Grund einer mangelnden Dotierung der Krankenversicherung. 

In den 1890er Jahren wurde die Führung eines Vereinslokales genehmigt, welches sich fortan als „Taubstummenheim“ zu bezeichnen hatte. Nach dem Ersten Weltkrieg, trotz oder gerade wegen der schweren wirtschaftlichen Lage, konnten über 800 Mitglieder verzeichnet werden.

Ab 1929 hieß der Verein Wiener Taubstummen-Fürsorgeverband und kürzte sich selbst mit WITAF ab. Neu war nun, dass viele in Wien existierende Gehörlosenvereine unter einem neuen Stern zusammengefasst wurden. Außerdem wurde damals festgelegt, dass der WITAF ein unpolitischer Verband ist. Zweck war es, als Rechtsnachfolger des Unterstützungsvereines, eine besondere öffentliche Taubstummenfürsorge in die Wege zu leiten. Der Sitz des Vereines war damals in der Gumpendorferstraße 81, 1060 Wien. Eine nochmalige Statutenänderung folgte im Jahr 1931. 

Der Verein konnte seine Tätigkeiten in den folgenden Jahren mehr oder weniger ungehindert fortsetzen. Es findet sich in den Unterlagen des Zentralen Vereinsregisters die Beschreibung, dass der Verein von der Gemeinde Wien subventioniert wurde, um „arbeitslose Mitglieder“ zu unterstützen und gehörlose Personen bei Behördengängen zu begleiten.

Der WITAF bestand in dieser Form bis 1938. In diesem Jahr des „Anschlusses“ wurden fast alle Vereine neu organisiert, umgegliedert oder gar gelöscht. Der Wiener Taubstummen-Fürsorgeverband wurde mit Bescheid des Stillhaltekommissars für Vereine, Organisationen und Verbände mit September 1938 in den Reichsverband der Gehörlosen Deutschlands e.V. Berlin eingegliedert. 

Zwischen 1938 und 1945 gab es den Reichsverband, welcher der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt unterstellt war und eine widersprüchliche Geschichte aufweist. 

Gleich nach der Befreiung 1945 wurde der Verein wiedergegründet und im Wesentlichen so aufgebaut, wie er schon in den 1930er-Jahren bestanden hatte. Dabei wollte man weiterhin die Unterstützung für gehörlose Personen sicherstellen. In dieser Zeit befand sich der wiedergegründete Wiener Taubstummen-Unterstützungsverein, der sich fortan als WITAF abkürzte, in der Arbeitergasse im fünften Wiener Gemeindebezirk. 

Der WITAF wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von dem ehemaligen Obmann des Vereins, Humbert Spitzer, geleitet und geprägt. Seinem Engagement liegt es zu Grunde, dass gehörlose Menschen in Österreich einen Führerschein machen und besitzen dürfen. 

Im Jahre 1959 übergab die Stadt Wien das Amtshaus in der Kleinen Pfarrgasse 33 im 2. Wiener Gemeindebezirk. In diesem Haus ist bis heute auch die Beratungsstelle eingegliedert und in Kooperation mit dem Kuratorium Wiener Pensionistenhäuser der Pensionistenklub für Gehörlose eingemietet. Die Projekte der Beruflichen Integration bestehen seit 1997 und sind in der Rueppgasse 11, wenige Gehminuten vom Vereinshaus, angesiedelt. 

2016 wurde der Vereinsname geändert, da im Laufe der Zeit der Begriff taubstumm eine negative Bedeutung erhielt. Da der WITAF jedoch hohen Bekanntheitsgrad genießt, wurde das Akronym (die Abkürzung) beibehalten. Mit der Statutenänderung wurde der Name des Vereins in “WITAF-seit 1865 im Dienste der Gehörlosen” geändert. Vielerorts wird vor allem in der wissenschaftlichen Community die Begriffe taub und taub sein vermehrt verwendet. Die Selbstvertreter:innen verwenden aktiv jedoch weiterhin den Begriff gehörlos, weswegen diese Bezeichnung weiterhin auch im Vereinsnamen zu finden ist. 2023 gab es eine erneute Statutenänderung in Bezug auf wirtschaftliche Belange des Vereins. 

Zeittafel Vereinsname

1865

Taubstummen-Verein in Wien

1875-1938
Wiener Taubstummen-Unterstützungsverein
1929-1938
Wiener Taubstummen-Fürsorgeverband
1945-heute
2. Wiener Taubstummen-Fürsorgeverband

Zeittafel

1865
wird der erste Verein für Taubstumme unter Alexander Venus, Direktor des K&K Taubstummeninstituts, und Adalbert Lampe in Wien gegründet. Der Verein erhält den Namen „Taubstummen Verein in Wien“, zählt 33 Mitglieder und war nur Männern zugänglich. Ziel des Vereines: Taubstummen Lehrlingen und Erwachsenen das soziale Elend zu lindern.
1868
ändert der Taubstummen Verein in Wien seinen Namen auf Wiener Taubstummen Unterstützungsverein. Die Generalversammlung beschließt, ihre Hilfsleistungen auch auf zugewanderte Taubstumme aus den Kronländern auszudehnen. Für taubstumme Lehrlinge gibt es in den Wintermonaten jeden Sonntag Heimstunden mit kostenloser Ausspeisung. Auch übernimmt der Verein die Verwaltung der Kaiser-Franz-Joseph-Stiftung
1869
wird ein Verein für taubstumme Frauen gegründet.
1875
führt der Verein eine Krankenversicherung unter seinem Präses N.S. Löw ein. Das Krankengeld beträgt in den 6 Wochen der Krankheit 3 Gulden 50 Kreuzer pro Woche, in den folgenden Wochen die Hälfte. Über diese Zeiträume hinaus wird der Kranke an den Armenfonds des Vereines verwiesen.
1876
erhält der Verein erstmals eine jährliche Subvention von der Stadt Wien in der Höhe von 50 Gulden.
1879
Taubstummen-Tag in Wien. Der Wiener Taubstummen Unterstützungsverein fungiert als Hausherr und ist Modell für neue Vereine in der österreichisch-ungarischen Monarchie. Der Verein richtet an den Niederösterreichischem Landtag ein Schreiben, in welchem Schulzwang für alle taubstummen Kinder gefordert wird.
1880
Am 30. Juni fasst daraufhin der Niederösterreichische Landtag den Beschluss in Oberdöbling eine Taubstummenschule zu errichten.
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